Veranstaltung: | LDV in Idar-Oberstein |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | 7. Anträge |
Antragsteller*in: | Gunther Heinisch (KV Mainz), Jonas-Luca König (KV Neustadt/Weinstraße), Eveline Lemke (KV Ahrweiler), Tabea Rößner (KV Mainz), Pia Schellhammer (KV Mainz-Bingen), Christoph Wagner (KV Mayen-Koblenz), Matthias Kaißling (KV Mayen-Koblenz), Kurt Werner (KV Neustadt/Weinstraße), Patrick Zwiernick (KV Koblenz), Luna Fiedler (KV Mainz), Paul Schweickhardt (KV Mainz), Tobias Lindner (KV Germersheim), David Hilzendegen (KV Worms), Rainer Grun-Marquardt (KV Neustadt/Weinstraße), Günther Scherer (KV Neustadt/Weinstraße), Sven Dücker (KV Trier), Jonathan Brahmst (KV Mainz), Felix Schmidt (KV Zweibrücken), Ehsan Ghandour (KV Mainz), Stephanie Burkhardt (KV Donnersbergkreis), Ruth Jaensch (KV Maiz), Sören Landmann (KV Trier), Daniel Müller (KV Landau), Friderike Graebert (KV Neustadt/Weinstraße), Waltraud Blarr (KV Neustadt/Weinstraße), Daniel Köbler (KV Mainz) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 10.12.2016, 08:49 |
A-2NEU: Kooperationen zwischen Hochschulen und Drittmittelfinanzierern transparent gestalten: Wissenschaftsfreiheit, und demokratische Entscheidungsprozesse wirksam absichern
Antragstext
Die öffentliche Auseinandersetzung über eine Kooperationsvereinbarung zwischen
der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität und der Boehringer Ingelheim Stiftung
haben gezeigt, welche Konflikte eine Kooperation einer Hochschule und eines
privaten Drittmittelgebers mit sich bringen kann. Hierbei geht es nicht nur um
den Wunsch nach Transparenz bei Drittmittelprojekten sondern vor allem um das
grundgesetzlich verbriefte Recht der Wissenschaftsfreiheit, das gewahrt bleiben
muss.
Intransparenz und wenig überzeugende, teils auch widersprüchliche Stellungnahmen
der Beteiligten Akteure bei der Kooperation der Universität Mainz und der
Böhringer Ingelheim Stiftung haben zur Entstehung erheblicher Irritationen
bezüglich dieser Kooperationsvereinbarung beigetragen. Erst wurden die Verträge,
die die Zusammenarbeit festschrieben, von der Hochschulleitung unter Verschluss
gehalten. Als sie dann, dank der Klage eines Journalisten, veröffentlicht werden
mussten, kamen fragwürdige Formulierungen in diesen Verträgen zu Tage: hat die
Boehringer Ingelheim Stiftung etwa Vetomöglichkeiten bei Stellenbesetzungen und
Forschungsveröffentlichungen? Wer hat diesen Verträgen überhaupt in dieser
fragwürdigen Form zugestimmt und wie sollen sie nun überarbeitet werden? Diese
Auseinandersetzungen über die Kooperationsvereinbarung haben offenbart, dass
tragfähige, wissenschaftsadäquate Regeln für vertraglich vereinbarte,
langfristig angelegte Kooperationen der rheinland-pfälzischen Hochschulen
fehlen.
In vielen Bereichen der Landesverwaltung war das Landestransparenzgesetz ein
Meilenstein hin zu mehr Transparenz und ein Kulturwandel der öffentlichen
Verwaltung hin zu mehr Offenheit und Informationen für die Bürgerinnen und
Bürger. Im Hochschulbereich waren jedoch von Anfang an die
Universitätspräsidenten von Rheinland-Pfalz vehement gegen eine größere
Transparenz im Bereich der Hochschulen, insbesondere im sensiblen Bereich der
Drittmittelforschung. Bei den Beratungen über das neue rheinland-pfälzische
Transparenzgesetz standen im Hochschulbereich Forschungsvorhaben mit
Drittmitteln im Zentrum der Aufmerksamkeit des Gesetzgebers. Während sich die
Regelungen des Gesetzes also auf einzelne, durch externe Geldgeber finanzierte
Forschungsprojekte beziehen, rückten durch die öffentliche Auseinandersetzung
über das Boehringer-Engagement auch langfristig angelegte und
institutionalisierte Kooperationen zwischen Hochschulen und privaten Akteuren
nun in den Fokus. Bündnis 90/Die Grünen Rheinland-Pfalz fordert, dass die
Landespolitik an dieser Stelle nachbessert und auch solche Kooperationen einen
klaren Handlungsrahmen erhalten, der Wissenschaftsfreiheit, Transparenz,
demokratische Teilhabe und die Finanzierung der Hochschulen absichert.
In den vergangenen Jahren wurden die öffentlich finanzierten Forschungsmittel
des Bundes und der Länder stark erhöht. Deutlich mehr Geld fließt beispielsweise
über die Förderprogramme der vom Bund und den Ländern getragenen Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) in Forschungsvorhaben an staatlichen Hochschulen.
Zudem stehen mit der Exzellenzinitiative seit 2006 erhebliche zusätzliche Summen
für herausragende Forschungsaktivitäten zur Verfügung – derzeit in Höhe von
jährlich 5,4 Mrd. Euro. Speziell das Land Rheinland-Pfalz hat erhebliche
Anstrengungen unternommen, die Grundausstattung der Hochschulen zu stärken. Seit
Beginn der GRÜNEN Regierungsbeteiligung sind die Zuweisungen an die Hochschulen
stetig angewachsen, um steigende Kosten zu kompensieren. Zudem konnte die
Grundfinanzierung der rheinland-pfälzischen Hochschulen mit dem Haushalt 2016 um
zusätzlich jährlich 25 Mio. EUR gesteigert werden.
Trotz der gewachsenen öffentlichen Mittel für die Forschungsförderung und der
Bemühungen um Zuwächse bei der Grundfinanzierung sind Mittel privater Dritter
weiterhin eine bedeutende Einnahmequelle der Hochschulen. Sie können
gesellschaftlich sinnvolle, beispielsweise für eine nachhaltige Entwicklung
bedeutende sowie für den wirtschaftlichen Erfolg des Landes förderliche
Innovationen ermöglichen. Sie schaffen zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten
an staatlichen Hochschulen und in staatlich finanzierten
Forschungseinrichtungen. Sie tragen außerdem zur Vernetzung der Hochschulen mit
der Wirtschaft und der Gesellschaft vor Ort bei.
Wir GRÜNE wollen grundsätzlich nicht verschiedenen Formen von
Drittmittelfinanzierungen und Stiftermodellen bei der Fortentwicklung der
Wissenschaften im Wege stehen. Schließlich steht Rheinland-Pfalz bei der
Ausstattung seiner Hochschulen mit Drittmitteln nicht einmal im Mittelfeld.
Landesweit bestehen rund 1.000 Verträge (nach Auskunft des
Wissenschaftsministeriums Rheinland-Pfalz) mit Forschungseinrichtungen und
Drittfinanzierern. Dafür sollten Compliance-Regeln bekannt, vereinbart und auch
gelebt werden, um Missbrauch jeglicher Art zu verhindern. Der verbindliche
Umgang nach diesen Regeln würde für den Wissenschaftsstandort Rheinland-Pfalz
zuträglich sein und für potentielle Geldgeber*innen, aber auch
Wissenschaftler*innen die notwendige Verlässlichkeit herstellen.
Solche Regeln müssen eine verfassungskonforme Gestaltung der
Kooperationsbeziehungen und damit vorrangig die Wahrung der im Grundgesetz
garantierten Wissenschaftsfreiheit sicherstellen. Sie müssen
wissenschaftsadäquat sein, die Pflicht aller staatlichen Einrichtungen und daher
auch der Hochschulen zu einer transparenten Arbeitsweise gewährleisten sowie
auch einen entscheidenden Einfluss der gewählten Selbstverwaltungsgremien der
Hochschulen regeln. Zudem ist es eine bleibende wissenschaftspolitische Aufgabe,
dass sich die Öffnung der Hochschulen hin zu einer Kooperation mit externen
Partner*innen nicht auf Großunternehmen aus dem Sektor der Privatwirtschaft
beschränken darf. Neben der ausbaufähigen Einbeziehung kleiner und mittlerer
Unternehmen besteht ein erhebliches Potenzial, die Wissenschaftslandschaft durch
zunehmende Kooperationen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und Einrichtungen
aus dem öffentlichen Sektor weiterzuentwickeln.
Zu den wichtigsten grund- und freiheitsrechtlichen Errungenschaften sowie zum
unveränderlichen Kern unserer Verfassung gehört die Freiheit der Wissenschaft.
Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland bestimmt in Artikel 5 Absatz
3 Satz 1: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Ein
verbindlicher Rahmen für Kooperationen wissenschaftlicher Einrichtungen mit
externen Dritten muss daher in besonderem Maße dem Schutz der der
Wissenschaftsfreiheit vor möglichen Beeinträchtigungen Rechnung tragen.
Mit der Einwerbung externer Mittel für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben an
staatlichen Hochschulen wie auch mit der Einwerbung von Zuwendungen im Rahmen
langfristig angelegter Kooperationen geht stets die Gefahr einher, dass
Strukturen entstehen, die einer Beeinträchtigung der Wissenschaftsfreiheit
Vorschub leisten können. Die beste Regulierung schließt zwar keinen Missbrauch
aus, schafft aber Bewusstsein für Missbrauchsrisiken und verringert diese. In
diesem Zusammenhang kommt weitgehenden Transparenz- und Offenlegungspflichten
eine entscheidende Rolle zu. Größtmögliche Transparenz ist das beste Mittel, mit
dem Wissenschaftler*innen wie auch wissenschaftliche Einrichtungen dem möglichen
Verdacht begegnen können, interessen- und nicht erkenntnisgeleitet zu forschen.
Transparenz ist die Grundlage für die Möglichkeit einer öffentlichen Kontrolle
und für wirksame innerwissenschaftliche Mechanismen zur Sicherung guter
wissenschaftlicher Praxis.
Ausnahmen von einer umfassenden Pflicht zur Transparenz darf es nur geben, wenn
und solange allgemeine schützenswerte Belange wie Persönlichkeitsrechte, der
Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, sicherheitsrelevanter Informationen
oder der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen dies erforderlich
machen. Die Geheimhaltung von Forschungsergebnissen darf nicht der Regelfall
sein, sondern eine begründungspflichtige Ausnahme.
Zuwendungen externer Dritter dürfen niemals mit der Gewährung von
Einwirkungsrechten verbunden sein, die mit der Wissenschaftsfreiheit unvereinbar
sind. Solche Einwirkungsmöglichkeiten wie beispielsweise Zustimmungsvorbehalte
für die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen oder Vorschlags- und sonstige
Mitwirkungsrechte bei der Besetzung regulärer Professuren muss ein
Regelungsrahmen für Kooperationsbeziehungen der Hochschulen explizit
ausschließen. Vor diesem Hintergrund werden BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sich im Rahmen
der Evaluation des Landestransparenzgesetzes dafür einsetzen, dass
Bereichsausnahmen insgesamt gestrichen sowie die Transparenz bei
Drittmittelforschung herbeigeführt wird.
Die "Gutenberg-Gesundheitsstudie" ist eine der weltweit größten
Gesundheitsstudien, die alle medizinischen Daten von 15.000 Bürger*innen in der
Region Mainz sammelt. Noch nie gab es eine vergleichbare Big-Data-Studie in der
Region. Die Privatdaten der Patient*innen müssen unter dem höchsten Schutz
gestellt werden. Jedoch sind weder der Vertrag öffentlich zugänglich, noch
werden die Ergebnisse der Studie der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Hier
sollte Transparenz über die Kooperationsvereinbarung hergestellt werden, auch
zur Einordnung späterer Marketingaktivitäten des Auftraggebers.
Analog zu den im kommunalen Bereich selbstverständlichen Mitwirkungsrechten
gewählter Gremien sind auch an den Hochschulen verbindliche Regelungen für eine
entscheidende Kompetenz der gewählten Selbstverwaltungsorgane erforderlich. Das
Einwerben privater Drittmittel gehört in weiten Teilen durchaus zum
Tagesgeschäft der Hochschulen. Vor diesem Hintergrund sollten die gewählten
Gremien die Möglichkeit haben, Mustervereinbarungen mit Drittmittelgebern zu
beschließen, die dann auf das jeweilige Drittmittelprojekt angepasst werden
können. Bei wesentlichen Abweichungen von solchen Mustervereinbarungen oder bei
langfristig angelegten Kooperationen, die in ihrer Tragweite über die
Durchführung einzelner Forschungsvorhaben hinausweisen, sollte eine Zustimmung
der gewählten Hochschulgremien erforderlich sein, also der jeweils zuständigen
Institutsgremien, Fachbereichsräte sowie des Senats. Einzelheiten zum Verfahren
und grundlegende Übereinkünfte zum transparenten Umgang mit Geldern von Dritten
ließen sich außerdem in den Grundordnungen der Hochschulen regeln.
Bündnis 90/Die Grünen Rheinland-Pfalz fordert die Landesregierung und unsere
Landtagsfraktion auf im Dialog mit Hochschulen, privaten Drittmittelgeber*innen,
Stiftungen und allen weiteren zentralen Akteur*innen wissenschaftsadäquate,
transparente und verbindliche Regeln für den Umgang mit langfristig angelegten
Kooperationen zwischen Hochschulen und privaten Dritten zu schaffen. Die
Wissenschaftsfreiheit und die demokratische Teilhabe der Hochschulgremien muss
in diesem Handlungsrahmen ebenso berücksichtigt werden, wie die
Zukunftsfähigkeit des Wissenschaftsstandorts Rheinland-Pfalz.
Auf der Basis dieser Lagebeschreibung sehen wir Handlungsbedarf, um die
grundgesetzlich geschützte Wissenschaftsfreiheit im Zuge der zunehmenden
Drittmittelforschung wahren zu können. Die Landesdelegiertenversammlung fordert
deshalb:
1. Wir ermutigen das rheinland-pfälzische Wissenschaftsministerium, eine
bundesweite Initiativfunktion bei der Gewährleistung einer transparenten und
freien Drittmittelforschung einzunehmen. In Verträgen mit Drittmittelgebern muss
die Wissenschaftsfreiheit und Unabhängigkeit der Universitäten grundsätzlich
garantiert werden.
2. Die Hochschulgremien sollen die Unabhängigkeit gegenüber ihren
Drittmittelgebern in ihre "Grundordnungen" aufnehmen, um jeden denkbaren
Missbrauch auszuschließen.
3. Um die Akzeptanz von Drittmittelforschung zu steigern, fordern wir
Hochschulen auf, Drittmittelverträge perspektivisch und so umfassend wie möglich
zu veröffentlichen. Dadurch wird die Unabhängigkeit der Forschung sichtbar. Die
Landesregierung soll diesen Prozess begleiten und unterstützen.
4. Die vom Präsidenten der Universität Mainz öffentlich angekündigten
Korrekturen im Kooperations-Vertrag mit der Boehringer-Stiftung müssen in
Kooperation mit der zuständigen Rechtsaufsicht tatsächlich umgesetzt werden.
Damit muss ausgeschlossen werden, dass Drittmittelgeber die Berufungspraxis von
Professoren und die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen bestimmen können.
Begründung
erfolgt mündlich
Kommentare